Der große Notgeldrummel mit der Vielzahl an Gemeinde-, Privat- und Sonderausgaben war im Jahr 1922 gerade abgeklungen, als es knapp 1 Jahr später zu einer ganz anderen Art von Geldausgaben kam, dem Briefmarken-Kapselgeld. Briefmarkengeld war zu dieser Zeit bereits aus einer Vielzahl anderer Länder bekannt. In den USA wurde es bereits im vorigen Jahrhundert im amerikanischen Bürgerkrieg verwendet, auch in Italien, Frankreich, Spanien und vor allem Deutschland waren bereits eine Vielzahl von Briefmarkengeld-Ausgaben in Umlauf gebracht worden. An Österreich war dieser Trend bis dahin spurlos vorbeigegangen, bekannt waren nur wenige einzelne Notgeld-Sonderausgaben mit aufgeklebten Briefmarken. Diese hatten jedoch mit dem eigentlichen Wesen von Briefmarkengeld nicht viel gemein: Anders als bei Notgeldscheinen, für welche die ausgebende Stelle haftete, garantierte für den Wert der Briefmarkenausgaben das Nominale der beiliegenden Briefmarken. Bereits im Jahr 1920 war in Österreich eine Kapselgeldausgabe geplant gewesen, es wurden jedoch nur einige Proben hergestellt, zu einer Inkurssetzung kam es aufgrund der rapiden Geldentwertung nicht mehr.

Prinzipiell wird zwischen den folgenden Arten von Briefmarkengeld unterschieden:

  • Auf besonderes Papier gedruckte Marken
  • Auf Papier geklebte Marken
  • In Hüllen oder getanzte Schlitze eingesteckte Marken
  • In Metall- oder Kunststoffkapseln eingeschlossene Marken (Kapselgeld)

In Österreich waren unter den mehreren Tausend verschiedenen Ausgaben der Notgeldperiode ab 1918 auch einige wenige Notgeldscheine des zweiten Typs, mit aufgeklebten Briefmarken: Aisthofen, Ansfelden, Aschach an der Donau, Dirnwagram, Firsching, Maria-Laah, Protztrum, Reichental im Mühlkreis, Schenkenfelden, Ulrichsberg, Wechling, Wimm, Wolfern und Zeilling. Von der Jacobi Zigarettenfabrik aus Wien ist aus dieser Zeit auch eine Ausgabe vom dritten Typ mit einer eingesteckten Marke bekannt.

Um Briefmarkengeld im eigentlichen Sinne handelte es sich nur bei der letztgenannten Ausgabe. Bei den Sonderscheinen dienten die aufgeklebten Briefmarken nicht der Wertsicherung des Notgeldscheines, sondern dazu, diesem ein besonderes, für Sammler interessantes, Antlitz zu geben.

Österreichisches Briefmarken-Kapselgeld

Tatsächlich um Briefmarkengeld handelt es sich jedoch bei den österreichischen Kapselgeld-Ausgaben aus dem Jahr 1923. Dieses bestehen aus einer Hülle, in die eine kursgültige Briefmarke eingeschlossen ist. Die Ausgabe fand zu einer Zeit der extremen Geldentwertung mit einer Inflationsrate von bis zu 3000% statt und wurde von Finanzministerium und ÖNB nicht nur geduldet, sondern wohlwollend unterstützt. Man sah darin eine für den Staat praktische und vor allem vollkommen aufwand- und kostenlose Übergangslösung, da die Herstellung neuer offizieller Münzen erst für das Jahr 1924 geplant war. So fehlte im Zahlungsverkehr das gewohnte Hartgeld. Mit der Ausgabe von Kapselgeld versprach man sich ein münzähnliches und wie es in zeitgenössischen Zeitungsartikeln oftmals erwähnt wird, auch „widerstandsfähiges, reinliches und hygienisch einwandfreies“ Zahlungsmittel. Auch im Finanzministerium strich man hervor, das Briefmarken-Kapselgeld vor allem deshalb zu unterstützen, da es „im Gegensatz zum Papiergeld sanitär einwandfrei sei“. Hier dürften scheinbar negative Erfahrungen mit den billig produzierten, aus leicht abnutzbarem Papier hergestellten, kleinen Kronen Werten des Jahres 1922 eine Rolle gespielt haben.

Gleichartiges Briefmarken-Kapselgeld war zu diesem Zeitpunkt bereits in Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen und seit einigen Jahren in Deutschland in Verwendung. In Ungarn, Polen und Rumänien stand die Einführung unmittelbar bevor. Die Verwendung von Briefmarken-Kapselgeld lag also europaweit im Trend und  auch in Österreich wollte man dem nicht nachstehen. Die Berechtigung zur Ausgabe wurde an die private Firma Austroreklame vergeben, die kurz zuvor eigens für diesen Zweck gegründet worden war und im 3. Wiener Gemeindebezirk residierte. Von der ÖNB hatte man die Berechtigung zur Ausgabe von Kapselmarken im Maximalwert von 5 Milliarden Kronen erhalten, einen Betrag der an den normalen Kleingeldbedarf Österreichs angelehnt war.

Die Berechtigung zur Ausgabe des Briefmarken-Kapselgeldes galt vorerst für den Zeitraum von einem Jahr. Vom Finanzministerium wurde keine Annahmepflicht und auch kein Zwangskurs statuiert. Man hielt das laut damaligen Aussagen auch nicht für notwendig und ging davon aus, dass sich das Geld auch ohne staatliche Einflussnahme durchsetzen werde. Für den Staat war das Briefmarken-Kapselgeld sogar ein kleines Geschäft. Immerhin fielen für die Produktion eines 100 Kronen-Geldscheines lt. zeitgenössischen Quellen Kosten von 25 Kronen an. Aufgrund des billigen Papieres nützen sich die Scheine sehr stark ab und mussten im Durchschnitt bereits nach nur 3monatigem Umlauf wieder ersetzt werden. Die Herstellung des Briefmarken-Kapselgeldes kostete den Staat hingegen nichts. Im Gegenteil: Die Briefmarken mussten zum vollen Nennwert bezogen werden und es dürfte nur ein sehr kleiner Teil dann auch tatsächlich zu Frankaturzwecken verwendet worden sein.

Die Produktion des Briefmarken-Kapselgeldes wurde von der Austroreklame organisiert und bezahlt. Zur Refinanzierung verkaufte diese die Rückseiten der Kapselmarken als Werbefläche an österreichische Unternehmen. Es wurden metallene Kapseln aus Aluminium, Tombakzink und Nickelzink sowie Kunststoffkapseln aus Zelluloid und Zellon produziert. Die metallenen Kapseln eigneten sich für einfache Darstellungen, auf den Kunststoffkapseln war mehrfarbige, künstlerische Reklame möglich.

Vergleich einfärbige Metallkapseln (links Nickelzink, rechts Tombakzink) und mehrfärbige Kunststoffkapseln

 

Das Briefmarken-Kapselgeld wurde durch die Trafiken Österreichs in Kurs gesetzt. Damals gab es ca. 14.000 Trafiken in Österreich, davon ca. 1.500 in Wien. In Wien brachte es zusätzlich auch noch die wenige Jahre zuvor gegründete Gewista (Gemeinde Wien Städtische Ankündigungsanstalt) in Umlauf.  Laut einer Werbebroschüre der Austroreklame wurden nicht zwangsläufig alle Marken überall in Österreich verbreitet, sondern die Inserenten konnten gezielt eine Beschränkung auf ein bestimmtes Bundesland oder bestimmte Bezirke vereinbaren. Und mit der damit verbundenen Reduktion der Auflage auch ihr Werbebudget schonen. Mit großer Wahrscheinlichkeit dürften das jene Firmen, die nur lokal tätig waren, auch gemacht haben. Für diese hätte eine landesweite Werbung vermutlich wenig Sinn ergeben.
Die Austroreklame warb damit, dass jede Geldmarke im Durchschnitt mindestens drei mal täglich den Empfänger wechsle und damit auch mit kleinen Auflagen von beispielsweise nur 10.000 Stück eine große Werbewirkung zu erzielen wäre. Auch strich man hervor, dass in anderen Ländern bekannte Weltfirmen und große Markenartikler bereits diese Werbeform nutzten, beispielsweise Opel, Rheinmetall, Pirelli, Credit Lyonnais, Glashütte Uhren, American Tobacco oder Singer.
Der dritte Vertriebsweg neben den Trafiken und der Gewista war die Verbreitung durch die werbenden Firmen selbst. Diese konnten – genügend Kleingeldumsatz in den eigenen Verkaufsstätten vorausgesetzt – das Briefmarken-Kapselgeld auch selbst ausgeben. Das geschah in der Art und Weise, dass jeweils sehr abgenutzte Banknoten eingezogen und stattdessen im gleichen Betrage Kapselgeld in Umlauf gebracht wurde.

Im ersten Schritt vorgesehen war die Verwendung von 20, 100, 200 und 500 Kronenmarken. Später wurde verkündet, dass im ersten Schritt nur die Wertstufen zu 100 und 500 Kronen zur Ausgabe gelangen. Tatsächlich dürfte zuerst einmal vor allem Kapseln mit der 100 Kronenmarke produziert worden sein, die 500 Kronenmarke kommt wesentlich seltener vor. Ebenso die 20 Kronen Marke, die 200 Kronenmarke ist überhaupt nur bei einer Ausgabe bekannt. Neben diesen 4 Werten, wurden aber noch eine Reihe anderer Marken, vermutlich gezielt zur Befriedigung von Sammlerbedürfnissen, verwendet. Zum Teil handelte es sich dabei wie bei den Hellerwerten der Ausgabe 1919/1920 um im Jahr 1923 bereits ungültige Marken.
Wieder zurück in Banknoten einlösen konnte man das Briefmarken-Kapselgeld  beim Oesterreichischen Credit-Institut für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten in Wien 1. Bezirk, Seitzergasse 1.

Die bald nahende Ausgabe des Briefmarken-Kapselgeldes fand auch in der Satirezeitschrift Kikeriki Widerhall, diese dichtete:

Markengeld

Wir kriegen jetzt ein Markengeld
Zu hundert und fünfhundert;
Wenn man dafür an‘  – Quark erhält,
So wär‘ ich sehr verwundert.

Ein Quargel nämlich heute ja
Wir um vierhundert kriegen;
Doch bis das Markengeld ist da,
ist er wohl schon gestiegen.

Die Produktion der Kapselmarken sollte ursprünglichen Plänen zufolge in Österreich durch das Hauptmünzamt Wien erfolgen. Erste erfolglose Versuche zeigten bald die Undurchführbarkeit des Vorhabens. Es fehlte an den notwendigen Spezialmaschinen und am Know-how in der Produktion der Kapselmarken, die mit der Münzproduktion wenig gemein hatte. So wich man auf eine deutsche Spezialfabrik aus, die mit der Fabrikation deutscher Kapselmarken bereits umfangreiches Know-how sammeln konnte. Das Hauptmünzamt stellte einen Teil der Metallausführung her, die Staatsfabrik Blumau lieferte das verwendete Zelluloid.

Auf der Rückseite der Kapselmarke ist – nur mittels einer dünnen, durchsichtigen Plastikfolie vor Abnutzung und Beschädigung geschützt – die Briefmarke eingeschlossen, so dass der Wert der Kapsel offen sichtbar ist. Die Briefmarke liegt auf einem farbigen Untergrundmaterial, das in unterschiedlichsten Farbvarianten vorkommt. Eine Systematik ist hier nicht erkennbar, gleiche Werte gleicher Ausgaben sind  mit unterschiedlichsten Untergrundmaterialien bekannt. Es scheint, als wäre bei der Produktion einfach nach Zufallsprinzip das gerade verfügbare Untergrundmaterial verwendet worden. Auf den Sammlerwert hat das Untergrundmaterial keinen Einfluss, auch werden unterschiedliche Untergrundmaterialien nicht als eigenständige Varianten betrachtet.

 

Die ersten Kapselmarken kamen schließlich lt. zeitgenössischen Zeitungsberichten ab August 1923 in Umlauf. Bei der Ausgabe in den Verkaufsstellen der werbenden Firmen wie Julius Meinl oder den Hammerbrotwerken wurde es anfangs noch misstrauisch beäugt. So weigerten sich vielfach Kunden diese anzunehmen. Vor allem ältere Personen verlangten „wirkliches Geld“. Ein Monat darauf hatte sich laut einem weiteren Zeitungsbericht die Wiener Bevölkerung bereits an das neue Geld gewöhnt. In einer Salzburger Zeitung wurde aber auch noch Monate später im März 1924 berichtet, dass die Bevölkerung dem Briefmarken-Kapselgeld „noch etwas skeptisch gegenübersteht“. Spätere Zeitungsberichte zum Briefmarkengeld sind nicht bekannt, was dafür spricht dass Briefmarken-Kapselgeld ab März 1924 kein großes öffentliches Thema mehr gewesen sein dürfte. Edgar Vilnai schrieb 1926 in der US-amerikanischen Fachzeitschrift „The Numismatist“ von insgesamt 400.000 in Österreich ausgegebenen Kapselmarken, ohne nähere Quellen für seine Angaben zu nennen.

Sammeln von Briefmarken-Kapselgeld

Bereits zum Zeitpunkt der Ausgabe des Briefmarken-Kapselgeldes in Österreich wurde es anderorts stark gesammelt. In Deutschland existierte diese Geldart bereits seit mehreren Jahren und einige Sammler hatten bereits große Sammlungen aufgebaut. Das deutsche Kapselgeld wurde 1923 zum Preis von etwa 2.000 Kronen je Kapsel gehandelt. Große Nachfrage gab es auch in den USA, die bereits eine jahrzehntelange Sammeltradition in diesem Bereich hatten. Aus diesem Grund dürfte auch ein großer Teil der österreichischen Briefmarken-Kapselgelder an Sammler im Ausland gegangen sein. Große österreichische Sammlungen dürften hingegen nicht oder kaum angelegt worden sein, zumindest wurde in der Literatur dazu bisher nichts bekannt.

Gesammelt wurden und werden die Kapseln in der Regel in der Art, dass man besonders viele verschiedene Reklamerückseiten zusammen zu bekommen trachtet. Der Wert der eingeschlossenen Briefmarke spielt für die Bewertung prinzipiell keine Rolle. Manche Sammler versuchen jedoch von einer Ausgabe möglichst viele verschiedene Werte zusammenzubekommen bzw. zu jeder Reklamerückseite auch die unterschiedlichen Kapselarten zu sammeln. Also zum Beispiel von der Austroreklame-Marke jeweils eine Kapsel in Aluminium, eine in Nickelzink und eine in Tombakzink. Wobei die Aluminium und Nickelzink Kapseln in der Praxis manchmal schwer zu unterscheiden sind.

Am Markt werden die mehrfarbigen Zelluloid und Zellon Kapseln zumeist deutlich höher gehandelt als die Metallkapseln. Die Ausnahme bilden hier die beiden Hammerbrotwerke, die häufiger sind. Die Preise beginnen bei etwa 40 Euro, nur die Hammerbrot-Kapseln gehen manchmal auch etwas günstiger weg. Für seltene Zelluloid und Zellon Kapseln werden Preise bis 200 Euro bezahlt, für absolute Seltenheit bis 500 Euro. Insgesamt existieren 50 verschiedene Ausgaben.
Wie bereits weiter oben erwähnt dürften manche der Kapseln nur regional in Umlauf gebracht worden sein und zudem manchen Kapseln auch sehr stark durch die werbenden Firmen selbst vertrieben worden sein. Das würde erklären, warum einige heute vergleichsweise häufiger vorkommen und andere nur sehr selten zu sehen sind.

Auf den ersten Blick ist beim Briefmarken-Kapselgeld nicht eindeutig ersichtlich, zu welchem Sammelgebiet es gehört. Die in der Kapsel und im Namen „Briefmarken-Kapselgeld“ enthaltene Briefmarke könnte eine Zugehörigkeit zur Filatelie vermuten lassen, die münzähnliche Metallkapsel hingegen wiederum zur Numismatik. In den USA wird das Markengeld aus diesem Grund auch als „the missing link between numismatic and philately“ bezeichnet. Traditionell wird das Briefmarken-Kapselgeld dem Notgeld und damit dem Sammelgebiet Papiergeld (Notafilie) zugeordnet und auch im größten Umfang von Sammlern aus diesem Bereich gesammelt.

 

Link: Briefmarken-Kapselgeld in der Bildgalerie

Sammlerliteratur: Das österreichische Briefmarken-Kapselgeld wird im Katalog „Notgeld Österreich – Deutsch-Österreich und Nachfolgestaaten mit Nebengebieten ab 1918“ aus dem Jahr 1993 gelistet.