Die Eiserne Zeit (Gasthaus am Wiener Naschmarkt)

von Erik Eybl, aus „Von der Eule zum Euro – Nicht nur eine österreichische Geldgeschichte „

Um das erwartete Defizit für 1919 in Höhe von zwei Milliarden Kronen zu bedecken, legte der erste Finanzminister der Republik, Otto Steinwender, schon ab dem 1.12.1918 eine Anleihe auf, die allerdings weit hinter den Erwartungen zurückblieb.

Auf Steinwender folgte nach wenigen Monaten der Grazer Universitätsprofessor Josef Schumpeter, neben Böhm-Bawerk sicher der bedeutendste Nationalökonom in Österreichs Finanzverwaltung. Seine Einschätzung, dass sich ein Hund eher einen Wurstvorrat anlege, als eine Regierung einen Budgetüberschuss, bleibt wohl ewig gültig. Als österreichischer Patriot opponierte er massiv gegen den von den Sozialdemokraten bevorzugten Anschluss an Deutschland. Er präsentierte Vorschläge zu einer Vermögensabgabe und Luxussteuer, konnte sich aber nicht durchsetzen. Nach bloß sieben Monaten trat die Regierung und mit ihr Schumpeter zurück. Im Jahr 1921 nahm er eine Berufung in den Vorstand der Biedermann-Bank an. Als diese 1926 zusammenbrach, hatte Schumpeter persönlich für einen Berg von Schulden zu haften. Schließlich folgte er als Professor dem Ruf nach Bonn und 1932 nach Harvard, wo er seine bedeutenden finanztheoretischen Werke verfasste und 1950 verstarb.

Es war den Politikern der unmittelbaren Nachkriegszeit bewusst, dass ein Überleben nur mit ausländischen Krediten möglich sein konnte. Doch Österreich wurde in den Friedensverträgen neben Ungarn als alleiniger Rechtsnachfolger der Monarchie zur Verantwortung gezogen. Vor allem die drohende Haftung für Reparationszahlungen an die Siegermächte verhinderte Auslandskredite, da nicht genügend Sicherheiten zur Verfügung standen.

Trotzdem wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit von der sozialistischen Regierung Renner Sozialgesetze beschlossen, die Österreich, zumindest auf dem Papier, als den besten Sozialstaat der Welt erscheinen ließen. Der Mieterschutz blieb unangetastet bestehen, Frauen- und Jugendarbeit wurden beschränkt, Arbeiterkammern gegründet. Daneben waren noch immer umfangreiche Stützungen der Lebensmittelpreise notwendig. Um dies alles zu finanzieren, griff die Regierung natürlich wieder zur Notenpresse. Der Goldschatz war im Krieg angegriffen, der Rest unter den Nachfolgestaaten verteilt worden. Das Bekanntwerden der Friedensbedingungen führte zu einem Absturz der Krone im Außenkurs, die Inflation im Land betrug nun schon monatlich fast 100 Prozent. Skrupellose Schieber kauften mit ausländischem Geld billig die letzten Ressourcen des Landes und den letzten Besitz des durch Kriegsanleihen und Geldentwertung verelendeten Bürgertums. Der Ausverkauf begann.

Österreich gehörte wie Deutschland, aber auch Ungarn und Polen, zu den Ländern, deren Währungen nach dem Krieg völlig zusammenbrachen. Der Zerfall des Wirtschaftsgefüges der Monarchie, schlechte Ernten und allgemeine Ressourcenknappheit, die zu Ausfällen in der Industrieproduktion führte, eine Regierung, die zur Budgetfinanzierung die Banknotenmenge exorbitant steigerte und daneben den Vorteil der Reduktion der Staatschulden genoss – das waren die Ursachen der österreichischen Hyperinflation.

Anders als im kommunistischen Russland, wo die Inflation einer Idee Lenins gemäß eingesetzt wurde, um das Besitzbürgertum gezielt zu ruinieren, ging es in Österreich aber schlicht ums Überleben. In unglaublichem Tempo steigerte sich die Entwertung des Geldes. Anfang 1920 waren 12 Milliarden Kronen im Umlauf, im August bereits über eine Billion, die hundertfache Menge. Die inoffiziellen Volksabstimmungen im Westen Österreichs mit der klaren Präferenz für einen Anschluss an Deutschland irritierten die Siegermächte, die daraufhin jede Kreditgewährung einstellten. Die Verbraucherpreise verdoppelten sich jeden Monat, im Sommer 1922 erreichten sie die 14.000fache Höhe der Vorkriegszeit. Im Jahr 1914 erhielt man für 10 Papierkronen tatsächlich 10 Goldkronen, 1922 kosteten sie rund 170.000 Papierkronen. Ein Kilo Schweineschmalz, das 1914 noch 2 Kronen gekostet hatte, bekam man nun nicht unter 15.000 Kronen.

Die Industriearbeiter konnten über ihre Gewerkschaften wenigstens ein Indexlohnsystem durchsetzen und verdienten so 1924 real um etwa 6 Prozent mehr als 1913 – was aber auch nur dem Existenzminimum entsprach. Beamte, Angestellte und alle Bezieher fixer Einkommen wie Renten, Mieten und Pensionen verarmten hingegen rasant. Sie verdienten 1924 um rund 33 Prozent weniger als 1913. Das führte zu einer Nivellierung der Einkommen an der Grenze zum Existenzminimum, die allgemeine Verelendung war der sichtbarste Ausdruck des endgültigen Zusammenbruches der alten Ordnung. Nicht umsonst hieß im Volksmund die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg die „Backhendl-Zeit“, die Zeit danach aber die „Eiserne Zeit“, woran heute noch ein Gasthausname am Wiener Naschmarkt erinnert.

Überleben konnten viele großbürgerliche und adelige Familien dank des von 1917 bis in die 1990er Jahre geltenden Mieterschutzes. In den großen herrschaftlichen Altbauwohnungen wurden Zimmer um zwei Millionen Kronen pro Monat untervermietet, zahlen musste der Hauptmieter für die gesamte Wohnung aber nur den Friedenszins von rund 1.000 Kronen. Es kam zu Hungerdemonstrationen, Plünderungen und Toten, die Salzburger Festspiele 1921 wurden nach dem „Jedermann“ abgesagt, da die Gäste nicht mehr verpflegt werden konnten. Tirol, Salzburgund Oberösterreich wiesen alle Fremden aus – die Lebensmittel reichten nicht.

Entsprechend hohe Nominalen mussten ab 1922 aufgelegt werden. Scheine zu 5.000, 50.000, 100.000 und 500.000 Kronen wurden gedruckt, Banknoten zu einer Million und zehn Millionen Kronen waren in Vorbereitung. Die Geldscheine mit den niedrigen Nominalen verkamen zu „Speisezetteln“, da sich die Hausfrauen auf den leeren Rückseiten lieber den Einkauf notierten – für den Ein- oder Zwei-Kronen-Schein bekam man wirklich nichts mehr. Die Scheidemünzen trugen bald die Werte 100, 200 und 1.000 Kronen. 1924 war Papiergeld für 9 Billionen Kronen im Umlauf. Da die Einnahmen des Staates nur zwischen einem Drittel und der Hälfte der Ausgaben lagen, musste der Rest über Anleihen und die Banknotenpresse finanziert werden. Dabei verdiente er auch noch kräftig. Die Verschuldung in festverzinslichen Papieren – hauptsächlich Kriegsanleihen bei der eigenen Bevölkerung – konnte schnell und billig getilgt werden. Für die Kreditgeber, die Inhaber der Papiere, wurden sie wertlos. Bereits 1920 war die Staatsschuld aus Kriegsanleihen von der höchsten Passiva-Position hinter die Beamtengehälter und die Lebensmittelzuschüsse an die dritte Stelle gerutscht.

Daneben gedieh auch noch eine dünne Schicht skrupelloser Inflationshaie – Nachkriegsgewinnler der übelsten Sorte. Auto, Nachtlokal und Cabaret wurden zu ihren

Statussymbolen. Die „wilden 20er“ waren nur etwas für die verschwindend kleine Schicht der Neureichen.
Eine Ausnahme in diesem Spekulationskarussell stellte die Wiener Stadtverwaltung dar. Dem so genialen wie umstrittenen Finanzstadtrat Hugo Breitner, ehemals subalterner Angestellter der Länderbank, gelang inmitten der größten wirtschaftlichen Depression ein ausgeglichenes Stadtbudget. Da in Wien fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung wohnte und die Versorgungslage 1918/1919 besonders katastrophal war, stimmte die Regierung einem für die Hauptstadt sehr vorteilhaften Finanzausgleich zu. Wien erhielt etwa die Hälfte der Bundesmittel.

Die Besteuerung der Wohlhabenden war außerordentlich hoch, was den Klassenkampf in Wien allerdings verschärfte. Heimwehrführer Starhemberg verstieg sich in einer Rede sogar zu der Äußerung, dass „der Sieg erst errungen“ sein werde, „wenn des Asiaten (=Breitners) Kopf in den Sand“ rolle. Die christlichsozial dominierte Bundesregierung schreckte vor derart drastischen Steuern immer wieder zurück, aber Breitner brachte in Wien die Mittel auf, um von 1923 bis 1933 die Errichtung von rund 65.000 kommunalen Wohnungen finanzieren zu können. Sie boten den bisher unter erbärmlichen Umständen hausenden Arbeiterfamilien einen Komfort, den vor dem Krieg auch so manche großbürgerliche Familie noch nicht gekannt hatte. Fließendes Wasser und Toilette in der Wohnung, Gas und Stromanschluss, ein eigenes Vorzimmer wurde zum Standard der neuerrichteten Wohnungen. Allerdings gab es keine Badezimmer, der Hygiene diente ein dichtes Netz von öffentlichen Wannen- und Brausebädern, den „Tröpferlbädern“. Auch wenn die Gemeindewohnungen im Schnitt nur 40 m2 groß waren, sie waren eine Pionierleistung, die weit über Österreichs Grenzen hinaus bestaunt und kopiert wurden.

Während die Tschechoslowakei ihre Währung in dieser Zeit stabil halten konnte, verfiel auch Ungarn, aber vor allem Deutschland in eine geradezu wahnwitzige Inflation. Ab 19. 1. 1922 drehte sich das Karussell schwindelerregend. Banknoten zu 10.000 Mark, 50.000 Mark, im Februar 1923 bereits zu einer Million Mark, und dann ohne Halten weiter: im September eine Milliarde Mark, im November 1923 der erste Schein zu einer Billion Mark – und im Februar 1924 unvorstellbare 100 Billionen Mark auf einem Geldschein, ausgeschrieben 100.000.000.000.000 Mark! Es gab Münzen mit Nominalen von 10.000 Mark und mehr. Die Banknotendruckereien gaben längst jede künstlerische und fälschungssichere Ambition auf und druckten auf billigem Papier, was nur möglich war. Auch Länder und Gemeinden wurden ermächtigt, eigenes Geld aufzulegen.

Fälscher waren keine große Gefahr. Bis sie die Fälschung fertig hatten, war das Geld nichts mehr wert. Und zur Sicherheit sahen die Banknoten von Monat zu Monat völlig anders aus. Nachdem der US-Dollar zwischenzeitig schon auf über 11 Billionen Mark gestiegen war, konnte der Kurs im Dezember 1923 bei 4,2 Billionen Mark stabilisiert werden. Zu Beginn des Jahres 1924 griff auch die deutsche Währungssanierung, die In.ationsscheine wurden eingezogen und zum Kurs „eine Billion alte Mark = eine neue Rentenmark“ umgetauscht. Damit stand der Kurs des US-Dollars nun bei 4,2 neuen Rentenmark.

Alle Rechte vorbehalten!
© Hermagoras/ Mohorjeva, Klagenfurt 2005

Auszug aus dem Buch

Erik Eybl
Von der Eule zum Euro
Nicht nur eine österreichische Geldgeschichte

366 Seiten, 16,5×23,5 cm, gebunden, durchgehender Farbdruck, über 600 Bilder und Tabellen
Verlag Hermagoras/ Mohorjeva Klagenfurt 2005, ISBN: 3-7086-0166-1, Preis: €32,-

Erhältlich im Buchhandel, beim Verlag www.hermagoras.at, Email: verlag@hermagoras.at oder bei www.amazon.de