Hans Hagen Hottenroth

NOTGELD IN NIEDERÖSTERREICH
EIN GEBOT DER BITTREN NOT

VORWORT

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der Donaumonarchie war als eine der vielen Auswirkungen dieser Ereignisse auch der Mangel an Rohstoffen -und hier vor allem an Buntmetallen – drastisch spürbar geworden. Auf den Kirchtürmen fehlten die Glocken – in den Geldbörsen das Metallkleingeld.

Als Ersatz für das zur Mangelware gewordene Kleingeld wurden in Österreich im Jahre 1920 Notgeldscheine ausgegeben, deren Nennwert meist 10, 20 und 50 Heller je Serie betrug. Gemeinden, Private und die Bundesländer gaben massenhaft Notgeld mit begrenzter Umlaufzeit aus: Der „Katalog des österreichischen Notgeldes 1916 bis 1921″ von Karl Jaksch und Albert Pick (Band 48 der Schriftenreihe „Die Münze“) nennt für ganz Österreich nicht weniger als 1279 verschiedene Ausgabestellen, die ihrerseits wieder oft mehrere Serien auflegten.

Unsere Notgeldscheine glichen in ihrer Funktion den ersten Banknoten, die ursprünglich ebenfalls keine gesetzlichen Zahlungsmittel waren, sondern wie die Schecks heute eine Art Gutschrift für eine hinterlegte Geldmenge darstellten. Wie die Reichskassenscheine Deutschlands im vorigen Jahrhundert wurden auch sie zum Nominalwert in gesetzliche Zahlungsmittel umgetauscht, allerdings zu einer festgesetzten Frist, die in Österreich in der Regel mit dem 31. Dezember 1920 endete. Die Herausgeber hafteten für die Verbindlichkeit mit ihrem gesamten Vermögen bzw. bekamen vom Staatsamt für Finanzen die Auflage, den Gegenwert des in Umlauf gesetzten Betrages auf einem besonderen Konto bei der Postsparkasse als Einlösungsfonds bereitzuhalten. Dabei profitierten die Herausgeber des Notgeldes doppelt: einmal durch die Inflation, die zu galoppieren begann, weil der eingelöste Betrag dem Nennwert nach zwar gleichblieb, der reale Geldwert zum Zeitpunkt des Umtausches aber wesentlich geringer war, und zweitens, weil die bunten Scheine mittlerweile zum begehrten Sammelobjekt avancierten und vielfach gar nicht mehr eingelöst wurden. Dennoch wäre es falsch anzunehmen, die Ausgabe von Notgeld sei reine Spekulation gewesen ; zumindest in der ersten Periode, von Jänner bis Juni 1920, sollte das österreichische Notgeld das rar gewordene Kleingeld auch tatsächlich ersetzen. Freilich ist nicht zu übersehen, daß in Österreich die Ausgabe zu einem Zeit¬punkt erfolgte, als das deutsche Notgeld bereits leidenschaftlich gesammelt wurde. Was Wunder, wenn da viele österreichische Gemeinden die Gelegenheit nützten, ihre Scheine entweder im direkten Verkauf oder über Händler an Sammler abzugeben, und der ursprüngliche Zweck immer stärker in den Hintergrund trat.
Das alles liegt nun Jahre zurück, die bunten Scheine ruhten lange Zeit in den Alben und Schachteln. Neuerdings werden sie von einer neuen Sammlergeneration wieder gesucht und aufgespürt: bei Händlern, auf Flohmärkten, auf Auktionen und in Großvaters Nachlaß. Ein umfangreicher Katalog, zusammengestellt von Karl Jaksch und Albert Pick, erschien 1976 und gibt Auskunft über alle bekannten österreichischen Serien in all ihren Spielarten und drucktechnischen Verschiedenheiten. Die Varianten entsprangen weniger einem Spekulationsbedürfnis, sie sind vielmehr das Resultat begrenzter technischer Möglichkeiten kleiner Druckereien, die kaum über umfangreiches Letternmaterial verfügen. Daraus erklärt sich die Ungleichheit der Letterngröße und -typen auf den Scheinen, auch die Papierqualität wechselte, wenn der Vorrat nicht für die ganze Auflage reichte.
Den sozial- und kulturgeschichtlichen Aspekt der Notgeldscheine läßt der Katalog hingegen außer acht. Doch gerade hier, in den vielen kleinen Bildern und den Versen der oft unbekannten Reimer, spiegelt sich die wirtschaftliche und politische Unsicherheit der Zeit, steht mahnend Toleranz gegen beginnende Unduldsamkeit, Großdeutschtum gegen ein neues Heimat- und Staatsbewußtsein.
Diesen Hintergrund zu erfassen, ist Sinn und Zweck dieses Buches.

Hans Hagen Hottenroth